DGZ-Newsletter 02 | 2025
Im DGZ-Newsletter werden wissenschaftliche Informationen zur Zahnerhaltung kompakt und verständlich auf den Punkt gebracht. Die Inhalte werden von Expertinnen und Experten der deutschen Universitätszahnkliniken verfasst, die exklusiv von interessanten Entwicklungen aus ihrer aktuellen Forschungsarbeit berichten.
In der vorliegenden Ausgabe steht unter Neues aus der Forschung die Kariesexavation im Mittelpunkt. Besonders die selektive Entfernung der Karies hat sich in den letzten Jahren durchgesetzt, wie Prof. Dr. Falk Schwendicke und Dr. Sascha Herbst vom LMU Klinikum München darlegen. Im Experteninterview mit Prof. Dr. Falk Schwendicke wird deutlich, dass der Vitalerhalt der Pulpa oberste Priorität hat und dabei wirtschaftliche Aspekte nicht unberücksichtigt bleiben.
Kann die Eröffnung der Pulpa nicht vermieden werden, sind die direkte Überkappung und die partielle Pulpotomie sinnvolle Therapieoptionen. Dr. Sascha Herbst gibt Tipps für die Praxis und zeigt die Möglichkeiten und Grenzen der Verfahren auf.
Wir freuen uns, dass wir unseren Newsletter um die neue Rubrik Praxistipp Abrechnung erweitern können. Frau Emine Parlak, von der Stabsstelle Kosten- und Erlösmanagement der Charité Berlin und Expertin für die Abrechnung zahnärztlicher Leistungen, wird die Fachthemen des Newsletters entsprechend ergänzen. Dieses Mal geht es um die Vitalerhaltung der Pulpa – Abrechnung bei GKV- und PKV-Patientinnen und Patienten.
Selektive Kariesentfernung als moderner Standard of Care – Grundlagen, Strategien und Vorgehen bei freigelegter Zahnpulpa
Hintergrund
Die Kariesentfernung gehört zu den häufigsten Tätigkeiten in der zahnmedizinischen Praxis. Während über fast ein Jahrhundert – basierend auf der Annahme, Karies sei eine Infektionserkrankung – der Versuch unternommen wurde, kariöses Zahnhartgewebe vor einer Restauration vollständig zu entfernen, hat in den letzten 15 Jahren ein Umdenken eingesetzt: Alternativen zu diesem traditionellen „vollständigen“ (non-selektivem) Vorgehen wie die selektive Exkavation gehören mittlerweile zum Standard of Care in der restaurativen Versorgung.
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Der vorliegende Beitrag beleuchtet die biologischen Grundlagen, die das Umdenken bei der Kariesentfernung befördert haben. Er stellt dann die Exkavationsstrategien und den engen Indikationsbereich detailliert dar und beschreibt anschließend den wissenschaftlichen Status quo zum Vorgehen bei freigelegter Zahnpulpa. Gerade in letzterem Bereich hat sich in den letzten Jahren viel getan – und umso spannender wird es zukünftig sein zu beobachten, inwieweit neue Therapiestrategien für die exponierte Pulpa wiederum die Wahl der Exkavationsstrategie beeinflussen können.
Biologische Grundlagen
Karies ist eine durch mikrobielle Biofilme verursachte Erkrankung, die durch fermentierbare Kohlenhydrate begünstigt wird. Diese ökologische Verschiebung führt zur Bildung einer säurehaltigen, kariogenen Nische, die zur Demineralisierung der Zahnhartgewebe und so zur Entstehung einer kariösen Läsion führt. Während des kariösen Prozesses dringen Mikroorganismen und deren Stoffwechselprodukte in die Dentinkanälchen ein und lösen eine entzündliche Reaktion der Pulpa aus. Dabei spielen Odontoblasten, dendritische Zellen, Makrophagen und pulpale Fibroblasten eine zentrale Rolle. Die initiale Pulpareaktion ist hyperämisch, gefolgt von einer Infiltration von Granulozyten und im späteren Verlauf von Plasmazellen. Die Pulpa besitzt jedoch eine angeborene Fähigkeit zur Regeneration, sofern der Reiz entfernt und der Zahn adäquat restauriert wird. Die Erhaltung der Pulpavitalität sichert deren Entwicklung (primäre und sekundäre Dentinogenese), Abwehrmechanismen (tertiäre Dentinogenese) und propriozeptive Funktionen. Ziel der Kariesbehandlung im Rahmen der vitalen Pulpatherapie (VPT) ist es, die mikrobielle Belastung zu reduzieren und durch eine dichte Versiegelung einerseits das Eindringen neuer Bakterien zu verhindern, andererseits mögliche, in der Kavität verbleibenden Bakterien zu inaktivieren.
Exkavationsstrategien
Die Exkavation kariöser Zahnhartgewebe kann selektiv oder nicht-selektiv erfolgen. Die selektive Kariesentfernung zielt darauf ab, die Gefahr einer Pulpaeröffnung zu minimieren, indem nur ein Teil des kariösen Dentins (selektiv) entfernt wird. Hierbei wird das periphere kariöse Dentin bis auf hartes Dentin entfernt, während ledriges (teilweise weiches Dentin) in Pulpanähe belassen wird. Die nicht-selektive Kariesentfernung beinhaltet die vollständige Entfernung aller weichen und ledrigen Anteile kariösen Dentins; es wird exkaviert, bis überall in der Kavität (auch pulpanah) hartes Dentin erreicht ist, wodurch das Risiko einer Pulpaexpositoin erhöht ist. Die schrittweise Exkavation ist ein zwei-stufiges Verfahren, bei dem zunächst peripher wieder bis ins harte Dentin exkaviert wird, zentral aber nur weiches Dentin entfernt und versiegelt wird (erster Schritt: analog selektive Exkavation) und nach 6 - 12 Monaten eine erneute Exkavation zur Entfernung von festem Dentin in Pulpanhähe erfolgt. Wichtig ist hierbei, ausreichend lange Zeit zwischen den Schritten zu lassen, damit die biologischen Reaktionen zwischen beiden Exkavationsschritten (Remineralisierung des pulpanahen Dentins, Inaktivierung versiegelter Bakterien, Aufbau von Reizdentin und damit Verringerung des Risikos, die Pulpa im zweiten Schritt zu eröffnen) erreicht werden. Dies bedeutet, dass auch mit einem ausreichend stabilen Material temporär restauriert wird (z.B. andersfarbiges Komposit, Glasionomermaterial).
Oft wird zusätzlich zur reinen Exkavation noch der Einsatz eines Liners (indirekte Pulpaüberkappung) diskutiert, also das Aufbringen eines biokompatiblen (und möglichst bioaktiven) Materials über die verbleibenden Dentinschicht in Pulpanähe. Sinn des Linings ist der Schutz der Pulpa vor Restaurationsmaterialien (z.B. Akrylaten) und das Anregen der Reizdentinbildung. Der Sinn dieses Schrittes wird mittlerweile zunehmend kritisch hinterfragt; die ESE empfiehlt momentan den Einsatz von hydraulischen Kalziumsilikatzementen.
Vorgehen bei freigelegter Zahnpulpa
Im Zusammenhang mit der Behandlung einer freigelegten Pulpa sind folgende Begriffe zu differenzieren:
Direkte Pulpaüberkappung: Anwendung eines biokompatiblen Materials direkt auf die freigelegte Pulpa.
Partielle Pulpotomie: Entfernung von ca. 2 mm koronalen Pulpagewebes nach Eröffnung.
Vollständige Pulpotomie: Vollständige Entfernung der Kronenpulpa bis zu den Wurzelkanaleingängen (=Erhalt der Wurzelpulpa) und Aufbringen eines biokompatiblen Materials auf das Pulpagewebe in Höhe der Wurzelkanaleingänge.
Die Behandlungsstrategie der freigelegten Pulpa hängt vom Entzündungszustand des Pulpagewebes ab. Die Optionen umfassen direkte Pulpaüberkappung und Pulpotomien. Eine direkte Pulpakappung kann in Zähnen mit reversibler Pulpitis und ohne spontane Schmerzen indiziert sein. Das Verfahren sollte unter sterilen, kariesfreien Bedingungen mit Kofferdamisolation und Anwendung eines hydraulischen Kalziumsilikatzements durchgeführt werden. Studien zeigen Erfolgsraten von bis zu 80 bis 90 % für diese Technik; die Datenlage ist allerdings stark heterogen: Einige Studien berichten über extrem niedrige Erfolgsraten der direkten Überkappung (meist durch fehlende aseptische Kautelen) – weshalb bei korrekter Indikationsstellung die selektive Kariesexkavation zur Vermeidung der Pulpaexposition zu bevorzugen ist.
Bei partiellen oder kompletten Pulpotomien wird das potenziell entzündete Pulagewebe entfernt, um die Heilung des verbliebenen vitalen Gewebes zu fördern. Diese Methoden sind auch bei Zähnen mit Anzeichen einer irreversiblen Pulpitis vielversprechend. Erste Studien berichten Erfolgsraten von 75 bis 98 % nach einem Jahr, selbst bei Zähnen mit Symptomen einer irreversiblen Pulpitis. Während des Verfahrens ist die Kontrolle der Blutung entscheidend. Unkontrollierbare Blutungen von über fünf Minuten deuten auf eine ausgedehntere Entzündung hin und können eine Pulpektomie erforderlich machen. Nach erfolgreicher Blutstillung wird ein hydraulischer Kalziumsilikatzement auf das freigelegte Pulpagewebe aufgebracht und der Zahn definitv restauriert, um eine mikrobielle Reinfektion zu verhindern.
Nach einer vitalen Pulpabehandlung sollten regelmäßige Nachuntersuchungen in Intervallen von 6 und 12 Monaten sowie anschließend jährlich bis zu vier Jahre erfolgen. Der Zahn sollte positiv auf Sensibilitätstests reagieren und keine anhaltenden Schmerzen oder röntgenologische Zeichen einer apikalen Parodontitis zeigen.
Weitere klinische Tipps zur VPT gibt in unserem Praxistipp (siehe unten).
Autoren:
Prof. Dr. Falk Schwendicke, Direktor und Dr. Sascha Herbst, stellvertretender Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie des LMU Klinikums München
Selektive Kariesexkavation ist kosteneffektiver als non-selektive Maßnahmen
Interview mit Prof. Dr. Falk Schwendicke, Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie des LMU Klinikums München (Foto: ©Herbst, Sascha, Dr. med. dent.)
In Bezug auf die Wirtschaftlichkeit gibt es keine Zweifel: Die Eröffnung der Pulpa zu vermeiden, ist sowohl in Bezug auf den Behandlungsaufwand als auch unter langfristigen Geischtspunkten kosteneffektiv. Lässt sich die Pulpaeröffnung nicht vermeiden, ist die partielle Pulpotomie der direkten Überkappung vorzuziehen. Bei der Behandlung ist dann auch die Wahl der Materialien entscheidend für den Erfolg. Im Interview gibt Prof. Schwendicke einen Überblick über den aktuellen Wissenstand und lässt dabei auch wirtschaftliche Aspekte nicht unberücksichtigt.
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Herr Professor Schwendicke, in der Vergangenheit wurde der selektiven Kariesexkavation in der Zahnärzteschaft mit Skepsis begegnet, mittlerweile ist der Erfolg dieser Methode mit Studien belegbar. Eine vollständige Entfernung von Karies birgt bei tiefen kariösen Läsionen die Gefahr der Eröffnung der Pulpa, was die Einleitung einer endodontischen Maßnahme zur Folge hat. Wie bewerten Sie dies im Sinne der „Cost-effectiveness“ bei Vergleich beider Methoden?
Bei korrekter Indikationsstellung ist die selektive Kariesexkavation eine vorhersagbare Therapieoption für tiefe Karies und ist in kürzerer Zeit unter geringerem Aufwand durchführbar. Zeitgleich ist der zu erwartende Nachbehandlungsaufwand aufgrund der guten langfristigen Prognose nicht höher, sondern oftmals geringer als bei invasiveren Maßnahmen wie der non-selektiven Exkavation. Im Ergebnis zeigen die Daten, dass die selektive Kariesexkavation sowohl initial als auch langfristig kosteneffektiver ist als die non-selektive Kariesexkavation.
Trotz aller Bemühungen kann die Eröffnung der Pulpa bei tiefen kariösen Läsionen unumgänglich sein. Welche Möglichkeiten zur Entscheidungsfindung zwischen nachfolgenden Therapiemaßnahmen wie der direkten Überkappung, der partiellen/vollständigen Pulpotomie oder einer Wurzelkanalbehandlung sehen Sie?
Aus praktischen Erwägungen kann die partielle Pulpotomie der direkten Überkappung bevorzugt werden: Bei der direkten Überkappung kann nicht abgeschätzt werden, inwiefern Dentinspäne oder Mikroorganismen bei der Kariesexkavation in die Pulpa transportiert wurden. Eine Entfernung von ca. 1 - 2 mm Pulpagewebe kann hier die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass eine saubere Wundfläche vor der Überkappung vorliegt. Sollte eine Blutungsstillung innerhalb von 5 Minuten nicht möglich sein, kann die vollständige Entfernung der Kronenpulpa indiziert sein (vollständige Pulpotomie). Die Wurzelkanalbehandlung sollte erst dann durchgeführt werden, wenn diese Maßnahmen zur Vitalerhaltung nicht mehr indiziert sind, wie z.B. bei einer Blutungszeit von >5 Minuten auch nach Ausräumung der Kronenpulpa oder sichtbaren Gewebeschäden. Aus pulpabiologischer Sicht sollte eine Wurzelkanalbehandlung nicht (mehr) die Therapie der ersten Wahl für die eröffnete Pulpa sein!
Sie empfehlen die Verwendung von hydraulischen Kalziumsilikatzementen zur Abdeckung der Pulpa. Dazu gehören beispielsweise Biodentin und MTA – Materialien, die nicht in jeder Praxis vorrätig sind. Welche gängigen Alternativpräparate zur Applikation auf freiliegendem Pulpagewebe wären denkbar? Halten Sie die Anwendung dieser Präparate für sinnvoll oder empfehlen Sie hier aufzurüsten?
Die hydraulischen Kalziumsilikatzemente wurden mit dem Ziel entwickelt, die negativen Eigenschaften des bis dato verwendeten Kalziumhydroxids (z.B. mangelnde mechanische Stabiltät und damit einhergehende reduzierte Dichtigkeit gegenüber Mikroorganismen) zu verbessern. Vor diesem Hintergrund ist es schwer, eine Alternative zu empfehlen, da die verfügbare Literatur eine Überlegenheit der Kalziumsilikatzemente gegenüber Kalziumhydroxid zeigt. Sollte in einem Praxissetting kein Kalziumsilikatzement verfügbar sein, kann als zweitbeste Lösung Kalziumhydroxidpräparat unter absoluter Trockenlegung verwendet werden.
Herr Professor Schwendicke, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führten Priv.-Doz. Dr. Julia Lubauer und Dr. Sabina Würsching
Wenn die Pulpa doch eröffnet wird – Therapieoptionen und Entscheidungskriterien
von Dr. med. dent. Sascha Herbst, Stellvertreter des Direktors der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie des LMU Klinikums München (Foto: ©LMU Klinikum)
Die direkte Überkappung der exponierten Pulpa kann, wie oben beschrieben, eine Therapieoption sein. Allerdings lässt sich der Zustand der Pulpa klinisch oft nicht eindeutig beurteilen, und die Grenzen zwischen reversibler und irreversibler Pulpitis sind fließend. Daher kann es in der Praxis sinnvoll sein, anstelle einer direkten Überkappung die exponierte Pulpa unter Kofferdam mit einem Diamanten im Sinne einer partiellen Pulpotomie „anzufrischen“. Dadurch können potenziell entzündetes Gewebe sowie mögliche Dentinspäne, die bei der Kariesexkavation auf die Pulpa gelangt sind, entfernt werden.
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Die partielle Pulpotomie deckt nicht nur den engen Indikationsbereich der direkten Überkappung ab, sondern kann auch bei irreversibler Pulpitis indiziert sein, sofern innerhalb von fünf Minuten eine Hämostase erreicht wird. Ihr erweitertes Indikationsspektrum kann in der Praxis helfen, diagnostische Unsicherheiten („Ist die Pulpitis wirklich reversibel?“) auszugleichen und so das Risiko von Misserfolgen zu reduzieren.
Die Abbildungen 1 - 6 zeigen den klinischen Ablauf der partiellen Pulpotomie. Bei Abbildung 2 stellt sich die Frage: ist die exponierte Pulpa frei von Dentinspäne? Da diese nicht mit einem eindeutigen „Ja“ beantwortet werden konnte, musste ein „Nein“ angenommen werden; somit wurde die partielle Pulpotomie als vitalerhaltende Strategie gewählt:
Abb. 1: Präoperative Bissflügelaufnahme zeigt eine tiefe Karies an Zahn 46 mesial, aufgrund leichter, teils reizunabhängiger Beschwerden wurde zugunsten der non-selektiven Kariesexkavation entschieden. | Foto: ©Sascha Herbst)
Abb. 2: Bei der Kariesexkavation wurde die Pulpa exponiert und es ist Dentinspäne auf der Pulpa zu vermuten. | Foto: ©Sascha Herbst)
Abb. 3: Mit einem Diamanten wurde ca. 2 mm Pulpagewebe abgetragen und die Blutungsstillung konnte mit 1% Natriumhypochlorit nach drei Minuten erzielt werden. | Foto: ©Sascha Herbst)
Abb 4: Die Überkappung der Pulpa erfolgte mit einem hydraulischen Kalziumsilikatzement (Biodentine, Septodont); das Material wies nach 12 Minuten eine ausreichende Festigkeit auf, weshalb eine Kavitätenreinigung mittels Sandstrahler durchgeführt werden konnte. | Foto: ©Sascha Herbst)
Abb. 5: Der Zahn wurde in derselben Sitzung mit einer direkten Kompositrestauration versorgt, das postoperative Einzelbild zeigt die partielle Pulpotomie am mesialen Pulpahorn. | Foto: ©Sascha Herbst)
Abb. 6: 18 Monate später reagierte der Zahn 46 physiologisch auf den Kältetest und die periapikalen Verhältnisse waren unauffällig. | Foto: ©Sascha Herbst)
Vitalerhaltung der Pulpa – Abrechnung bei GKV- und PKV-Patientinnen und -Patienten
von Emine Parlak, Stabsstelle Kosten- und Erlösmanagement, Charité Universitätsmedizin Berlin I Centrum 3 für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde
Im aktuellen Newsletter steht die selektive Kariesentfernung und die Vitalerhaltung der Pulpa im Fokus. Doch wie lässt sich diese moderne Behandlung abrechnungstechnisch korrekt umsetzen?
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GKV: Abrechnung nach BEMA
Die Vitalamputation (Pulpotomie) ist über die BEMA-Nr. 27 abrechnungsfähig – allerdings unter klar definierten Voraussetzungen:
Indikation: Nur bei symptomlosen Milchzähnen oder symptomlosen bleibenden Zähnen mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum.
Leistungsinhalt: Abtragen des Pulpendaches, Entfernung der koronalen Pulpa, Blutstillung, Aufbringen eines Überkappungsmaterials. Das Exkavieren und ein temporärer Verschluss sind mit abgegolten.
Pflichtleistung bei Milchzähnen: Eine definitive Versorgung (BEMA 13a–d oder 14) muss in derselben Sitzung erfolgen.
Nicht enthalten und gesondert berechnungsfähig:
Beratung, Diagnostik (BEMA 01, Ä1, Ä935),
Sensibilitätsprüfung (BEMA 8),
Röntgen, Anästhesie (BEMA 40/41),
Kofferdam (BEMA 12).
Hinweis auf außervertragliche Leistungen:
Bei Wunsch nach moderneren oder aufwendigeren Therapieformen (z. B. mikroskopgestützte Vitalerhaltung) muss eine schriftliche Privatvereinbarung
gem. § 8 Abs. 7 BMV-Z erfolgen.
PKV: Abrechnung nach GOZ
Die GOZ-Nr. 2350 umfasst die Amputation und Versorgung der vitalen Kronenpulpa an Milch- oder bleibenden Zähnen.
Indikation: Die Anwendung erfolgt bei vitaler Pulpa, symptomlosem Zahn und noch nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum.
Leistungsinhalt: Die Leistung umfasst die Entfernung der koronalen Pulpa, die medikamentöse Abdeckung der Wurzelpulpa sowie das Exkavieren.
Nicht enthalten und gesondert berechnungsfähig:
GOZ 0010, GOÄ 5/6: Klinische Untersuchung,
GOÄ1: Beratung,
GOZ 0070: Vitalitätsprüfung,
GOZ 0080-0100: Anästhesie – separat je nach Aufwand
GOÄ5000 ff.: Röntgendiagnostik,
GOZ 2020: Temporärer Verschluss,
GOZ 2030: Besondere Präparationsmaßnahmen,
GOZ 2040: Kofferdam (empfohlen für aseptisches Vorgehen)
GOZ 2050, 2060 ff.: Füllung (definitiv) oder 2020 (provisorisch)
GOZ 2390: Trepanation (nur wenn medizinisch indiziert und nicht methodisch
notwendig).
Grenzfälle & Ergänzungen:
Nach einer nicht erfolgreichen Maßnahme gemäß GOZ-Nrn. 2330/2340 kann GOZ-Nr. 2350 dennoch erfolgen.
Die Behandlung der avitalen Milchzahnpulpa erfolgt nicht über 2350, sondern über GOZ-Nr. 2380.
Eine Mortalamputation (Vitalamputation) an bleibenden Zähnen kann – je nach individueller Situation – analog berechnet werden.
Materialkosten:
Kostenintensive „Dentinersatzpräparate“ wie z.B. „BiodentineTM“
– MTA (Mineral Trioxid Aggregat) können zusätzlich berechnet werden, wenn sie die Zumutbarkeitsgrenze gemäß BGH-Urteil vom 27.05.2004 (Az.: III ZR 264/03) überschreiten.
Fazit
In der GKV ist die BEMA-Nr. 27 an strenge Voraussetzungen gebunden.
In der PKV bietet die GOZ flexible Optionen für moderne Materialien und aufwändige Therapien.
Dokumentation, Aufklärung und ggf. Privatvereinbarung sind zentrale Bausteine einer rechtssicheren Abrechnung – vor allem bei komplexeren Fällen.
Bleiben Sie abrechnungssicher – und pulpavital!